„Herrliche Zeit mit gefühlt nur vier Stunden Unterricht“

Dank des Gymnasiums ist Kusel Geburts- und Heimatstadt von Jochen Hartloff – Einen ungleich weiteren Schulweg hat einst ein Wahl-Schweizer aus Waldmohr bewältigt

Ohne das Gymnasium Kusel wäre ich gar nicht hier geboren. Mein Vater wurde in der Nachkriegszeit als Studienrat an die Schule versetzt. Ich lernte so seine Kolleginnen und Kollegen von frühester Jugend an kennen.

Als ich in den 1960er Jahren auf das Gymnasium kam, trugen viele der Oberstufenschüler noch Anzüge im Unterricht. Wenige Jahre später – es herrschte Lehrermangel und die Klassen waren groß – wurde 1966/67 der Schuljahresbeginn mittels der sogenannten Kurzschuljahre von Ostern auf die Zeit nach den Sommerferien umgestellt. Aus meiner Erinnerung eine herrliche Zeit, da wir gefühlt nie mehr als vier Stunden am Tag Unterricht hatten und unser Klassenzimmer sich in den neu errichteten Behelfsbaracken auf dem Schulhof hinter dem heutigen Horst-Eckel-Haus befand. Viele Lehrer hatten ihre Mühe, daran zu denken, unseren Klassensaal zu finden. Wir waren nicht darüber betrübt, dass wir so von einigen Minuten Unterrichtsausfall profitierten. Die Sorge, deshalb den beruflichen Aufstieg zu verpassen, trieb uns damals nicht um.

Kurz darauf wurde viel Zeit insbesondere im Werkunterricht (durch Schleifen der Werkbänke etwa) darauf verwendet, den Umzug in den neu errichteten Bau des Gymnasiums an der Walkmühlstraße vorzubereiten. Dort angekommen, regnete es zwar durch s Dach, aber die neugestalteten Fachsäle Sportplatz, größere Turnhalle und Lehrschwimmbecken ließen das Schülerherz höher schlagen.

Mit fortschreitendem Schüleralter wurden für Freistunden oder „frei genommene Stunden“ heute nicht mehr bestehende Treffpunkte wie Café Immetsberger, Bierkeller, Renner Otto und Bräustübl zunehmend wichtig – als Lernorte für das gemeinschaftliche Leben.

Natürlich könnte ich auch viele Anekdoten aus dem Schulalltag zum Besten geben, welche in guter Erinnerung geblieben sind. Etwa jene, als ich nicht aufmerksam dem Matheunterricht folgte und ein Lehrer seinen Schlüsselbund quer durch den Saal in meine Richtung warf. Im letzten Moment hatte ich es gemerkt und als Handballer das Teil direkt zum Lehrer zurückgeworfen, wo es an ihm aufprallte. Der Vorgang blieb trotz Ärger folgenlos. Als Schülersprecher sollte ich wegen einem angedrohten Schulstreik auch einmal von der Schule fliegen, was nach Protesten in einem „milden“ Verweis endete.

Gute Freundschaften, welche bis heute bestehen, haben ihren Anfang in der Schulzeit genommen, genauso wie der Kontakt mit etlichen Lehrerinnen und Lehrern weit über die Zeiten am Gymnasium hinaus.

Übrigens: 1973 gab es auf unseren Wunsch keine Abifeier (außer zahlreichen privaten Feiern). Die Zeugnisse und Auszeichnungen wurden in den Klassenzimmern übergeben.

The Times They Are A-Changin’“ (Bob Dylan)                          Jochen Hartloff

Zum Autor: Jochen Hartloff (69) war Landtagsabgeordneter der SPD (1996 – 2021). Zwischenzeitlich war der Jurist Justizminister im Mainzer Kabinett. Noch bis kommenden Monat amtiert Hartloff als Stadtbürgermeister Kusels.

2000 Mal Kusel und zurückJa, so weit mussten wir aus Waldmohr Bildung ,er-fahren’ – 2000 Mal ging es nach Kusel und zurück: Wecker um 5 Uhr 30, Schulbus um 6, nach 25 Kilometern um 7 Uhr 10 an der Kuseler Post und meist schneller im Klassenzimmer als die Einheimischen.

Das Gymnasium war in den 60ern noch überschaubar, meine Klasse hatte 14 Schüler. Das Klima war sehr persönlich, die Lehrer haben sich nicht nur „gekümmert“, sondern sich hoch engagiert. Der Turnlehrer hat nicht mit der Trillerpfeife am Sportplatzrand gestanden, er ist die 3000 Meter mitgelaufen und wir konnten uns im Endspurt duellieren.

Der Deutschlehrer hat in einer Randstunde schreibschwache Schüler zusätzlich unterrichtet und der Latein- und Französisch-Lehrer hat uns die schönste aller damals vorstellbaren Abschlussreisen ermöglicht: eine Woche Südfrankreich, welch ein Traum! Während die Parallelklasse im Pfälzerwald zeltete, logierten wir oberhalb von Sète in einer Jugendherberge (die es noch gibt) und lernten Land und Leute ganz nah kennen. Nur der Versuch, in Arles, in den Steinsärgen der Römer liegend, ein Klassenfoto zu machen, wurde von der Aufsicht abgebrochen.

In der Unterprima waren wir plötzlich und unerwartet nur noch 13: Mein bester Freund und Banknachbar hatte Probleme mit seinen autoritären Eltern, die ihn bedrängten, die Schule abzubrechen, um eine Lehre zu machen, damit er als einziger Sohn das Geschäft übernehmen könne. Er hielt dem Druck nicht stand, stellte den Plattenspieler auf Endloswiederholung und nahm zur „Moldau“ von Smetana genügend Schlaftabletten.

Das Gymnasium war sehr musikalisch dank dem rührigen Musiklehrer. Jedes Jahr gab es ein großes Konzert mit Chor und Orchester, in dem ich Querflöte spielte. Eines Tages fragte er uns, wer bereit wäre, Pauke zu lernen, ich meldete mich und kam unter die Fittiche des Schulsekretärs, der als ehemaliger Militärpauker auf dem Pferd sitzend, IHM mehrfach vorspielen durfte, wobei ER sogar einmal sein Pferd streichelte. Den Namen des ,Gröfaz’ durfte man damals noch nicht nennen. Ich wurde so gut ausgebildet, dass ich später an der Uni Saarbrücken beim semiprofessionellen Orchester sofort als Pauker einsteigen durfte – und dort meine Frau kennenlernte, die als Bratschistin vor mir saß.

Ein Konzert endete besonders: Die Zuschauer klatschten beim Schlussmarsch begeistert mit, ganz überraschend bekamen wir vom Dirigenten das Zeichen, den letzten Satz zu wiederholen. Einige machten mit, einige nicht. Es entstand ein riesiges Durcheinander, eigentlich peinlich, doch nicht in Kusel: irgendwann kam dann so etwas Ähnliches wie ein Schluss, zwei Geiger nahmen den Musiklehrer auf ihre Schultern und trugen ihn unter Triumphgeheul aus dem Saal.

Ein Höhepunkt im Jahr war das Fußballspiel Lehrer gegen Schüler, zwei mal 30 Minuten. Nur einmal war es schon nach zehn Minuten zu Ende: Elfmeter für die Lehrer! Ein Kollege erlaubte sich einen brutalen Scherz: Er tauschte den Ball gegen einen ähnlich aussehenden Stein aus – schwere Verletzung und ein Fall für das Ministerium.

50 Jahre später, beim Jubiläumsklassentreffen waren fast alle dabei. Erinnerungen, endlose Storys, gute Gefühle. Mit dabei: Hans Mittermüller, früher Sprecher beim Saarländischen Rundfunk, Radio und TV. Er war in meiner Studentenband Schlagzeuger, wir hatten uns seitdem nicht gesehen. Er zählte vor, ich begann auf dem Keyboard und wir spielten eine halbe Stunde lang, als hätten wir uns erst gestern gesehen.

      Hans-Wolf Buchinger, Schweiz

(veröffentlicht mir freundlicher Genehmigung der Rheinpfalz)

Quelle

AusgabeDie Rheinpfalz Westricher Rundschau – Nr. 120
DatumSamstag, den 25. Mai 2024
Seite15