Nachdenken und mitfühlen

Das Klassenzimmerstück des Pfalztheaters wird auch in Kusel gespielt Von Katharina Kovalkov 
„Es hätte eine Liebesgeschichte sein können. Aber es musste ja eine Kriegsgeschichte werden“: Das Klassenzimmerstück „Tito, mein Vater und ich“ des Pfalztheaters ist eine mitreißende Neuinszenierung der Textvorlage von Maja Das Gupta. Jetzt ist es in Kusel zu sehen.Es ist eine Geschichte zwischen Klassenzimmer, Kommunismus und Krieg. Sie kreist um Fragen wie: „Wenn ihr das von euren Eltern wüsstet … Was würdet ihr tun? Wie würdet ihr diese Geschichte erzählen? Wem kann man das überhaupt erzählen?“Hauptfigur Tamas ist ein Filmstudent, der in nur vier Tagen einen Abschlussfilm drehen muss. Es fehlen noch wichtige Szenen, darunter in einem Klassenzimmer. Die Schülerinnen und Schüler, die das Stück erleben, werden daher zu Akteuren, die von dem unter Schlaf- und Zeitmangel leidenden Regisseur hin und her dirigiert werden. Alles muss perfekt sein. Denn es geht hier nicht nur um seinen Studienabschluss – es geht um sein Leben.Es geht um seinen Vater und „um Ex-Jugoslawien und diesen Scheißkrieg!“ Der Vater war Armeesoldat, verehrte den autokratischen Staatspräsidenten des ehemaligen Jugoslawiens, Josip Broz Tito. Der 1980 gestorbene kommunistische „Lieblingsdiktator“ des Vaters hat in einigen Bevölkerungsgruppen auf dem Balkan eine regelrechte „Titostalgie“ entfacht.Der in Deutschland geborene Tamas jedoch hat weder Tito noch den Krieg selbst erlebt. Seinen Vater kennt er nur aus dessen Briefen an die Mutter. Viele Jahre glaubte er, dass seine Eltern vor dem Krieg in Jugoslawien nach Deutschland geflohen seien – „aus Liebe“. Das haben ihm alle erzählt. Die Wahrheit fand Tamas erst später heraus – durch einen Brief. Sie entsetzt und erschüttert ihn zutiefst. So gerät die Suche nach seiner Identität zu einer Gratwanderung.„Die Eigenen sind einem nie fremd. Immer nur die Anderen. Bullshit! Mir sind die Eigenen fremd“, wütet der überforderte Regisseur in hektischen Monologen. Immer die Frage auf den Lippen: Warum? Wer ist schuld? Mit dem geplanten Film will Tamas Antworten, Aufmerksamkeit, Anerkennung von seinem Vater, den er zur Premiere eingeladen hat – als Geschenk zu dessen 60. Geburtstag. Mehr noch als alles andere will der Student aber einen Abschluss.Während er der Schulklasse immer drastischere Details über die Hintergründe seines Films erzählt, zweifelt er zunehmend, ob er die ihm so unfassbar wichtige Geschichte seiner Eltern überhaupt erzählen darf, soll und vor allem kann.Das Klassenzimmerstück von Maja Das Gupta wurde im März 2012 am Theater Heilbronn uraufgeführt. „Es ist also schon ein älterer Text“, sagte die Autorin nach der Premiere in Kaiserslautern. Für Carola von Gradulewski (Dramaturgin) und Natascha Rose (Regisseurin) ist es aktuell genug, um es in Zeiten eines anderen Kriegs wieder auf die Bühne zu holen: vor jungen Zuschauern, die Krieg nur aus Geschichtsbüchern kennen und doch nun selbst einen grausamen Krieg am Bildschirm miterleben.Pfalztheater-Akteur Philipp Adam zerrt in der Rolle des Tamas den Krieg in die „Sicherheitszone“ Schule. Er schont sich und sein Publikum in keiner Szene. Er windet sich durchs quälende Gedankenkarussell ums Warum. Wenn Tamas übers ehemalige Jugoslawien spricht, flimmern einem automatisch die Bilder aus der Ukraine durch den Kopf. „Es hat mich sehr gepackt, wie aktuell das Stück gerade ist“, sagt Das Gupta. „Es ist ein zwiespältiges Gefühl, wenn die Zeit einem Text so zuarbeitet und ihn aktuell macht. Besser wäre es aber natürlich, es würde den Text nicht brauchen.“Es ist eine Geschichte „zum Nachdenken und zum Mitfühlen“, sagt der amtierende Künstlerische Direktor der Pfalztheaters, Daniel Böhm. Im Prinzip seien Liebes- und Kriegsgeschichten „ja das Gleiche. Nur mit anderen Vorzeichen“.Termine – Das Stück „Tito, mein Vater und ich“ wird am 18., 24. und 25. Januar vor verschiedenen Klassen im Siebenpfeiffer-Gymnasium in Kusel gezeigt. – Weitere Schulen, die sich das Stück in ihre Klassen holen möchten, können sich ans Pfalztheater Kaiserslautern wenden. Das Stück eignet sich für Schüler und Schülerinnen ab der achten Klasse. Es wird jeweils vor einer einzelnen Klasse gespielt. Für Anfragen und Buchungswünsche zuständig ist Katja Scheithauer, zu erreichen unter Telefon 0631 3675 220 oder per Mail unter k.scheithauer@pfalztheater.bv-pfalz.de.

(veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Rheinpfalz)
Quelle Ausgabe Die Rheinpfalz Westricher Rundschau – Nr. 15 Datum Mittwoch, den 18. Januar 2023 Seite 12